Normalerweise drückt der Europäische Gerichtshof (EuGH) kein Auge zu, wenn es um datenschutzrechtliche Belange geht. Im Bereich der Strafverfolgung aber bahnt sich nun eine Lockerung seiner bisherigen Rechtsprechung an: Der EuGH erlaubt die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen bei allen Straftaten – wenn auch mit strengen Auflagen.
Vorratsdatenspeicherung gegen illegale Filesharer
Um illegales Filesharing besser bekämpfen zu können, erließ die französische Regierung 2010 ein Dekret, mit dem es seinen Behörden umfassende Befugnisse im Bereich der Datenverarbeitung einräumte. Insbesondere die “Hadopi”, eine französische Strafverfolgungsbehörde, welche gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet vorgeht, macht regelmäßig Gebrauch von dieser Befugnis.
Hierfür fragt sie bei verschiedenen Seitenbetreibern die IP-Adressen von mutmaßlichen Tätern ab und verknüpft diese mit Vor- und Nachnamen der betroffenen Personen. Datenschützern und Verbraucherschutzorganisationen ist diese Praxis ein Dorn im Auge, weshalb sie schließlich Klage vor dem französischen Staatsrat gegen das entsprechende Dekret eingelegt haben.
Da nicht nur nationale sondern auch europäische Regelungen in diesem Fall greifen, legte das oberste Verwaltungsgericht in Frankreich dem EuGH folgende, die Vorratsdatenspeicherung betreffende Fragen vor:
- Zählen IP-Adressen zu den Verkehrs- oder Standortdaten, die grundsätzlich einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle unterliegen müssen?
- Falls ja: Verstößt eine nationale Regelung, die eine solche gerichtliche Kontrolle umgeht, gegen geltendes Europarecht?
- und darf eine solche Kontrolle auch automatisiert erfolgen, wenn eine unabhängige und unparteiische Stelle dies beaufsichtigt?
Vorratsdatenspeicherung nicht auf schwere Straftaten beschränkt
Die Antwort des sonst so auf den Datenschutz pochenden EuGH war überraschend: Eine Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen inklusive Abfrage durch Behörden seien durchaus möglich, wenn es der Aufklärung und Bekämpfung von Straftaten dient:
“Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie (…) gestattet es den Mitgliedstaaten, Ausnahmen von der (…) aufgestellten grundsätzlichen Pflicht zur Sicherstellung der Vertraulichkeit personenbezogener Daten (…) zu schaffen, sofern eine solche Beschränkung für die (…) Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten (…) notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist.”
EuGH-Urteil, Rechtssache C-470/21, Rn. 66
Bisher hat der Gerichtshof eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung nur in Fällen von schwerer Kriminalität wie Kinderpornografie oder Terrorismus durchgewunken. Dass nun auch “kleinere” Verstöße wie Urheberrechtsverletzungen ebenfalls ausreichen, ist ein Novum.
EuGH gibt Kriterien zur Vorratsdatenspeicherung vor
Gleichzeitig betonte der EuGH, dass eine Vorratsdatenspeicherung nur unter Einhaltung bestimmter Auflagen durchgeführt werden darf:
“Eine solche Vorratsspeicherung ist zulässig, wenn die nationale Regelung Speichermodalitäten vorschreibt, die eine wirksame strikte Trennung der verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten gewährleisten und es damit ausschließen, dass genaue Schlüsse auf das Privatleben der betreffenden Person gezogen werden können”
EuGH, Pressemitteilung Nr. 75/24 vom 30. April 2024
Entscheidend ist also vor allem das Wie. Behörden sowie Seitenbetreiber müssen sicherstellen, dass nur so viele Informationen angefragt werden können, wie für die Strafverfolgung absolut notwendig ist. Um das zu gewährleisten, gibt der Gerichtshof den Verantwortlichen ein paar Kriterien an die Hand:
- Eine getrennte Speicherung von IP-Adressen und sonstigen persönlichen Daten
- Eine Verknüpfung dieser Daten darf nur auf eine Weise erfolgen, die diese getrennte Speicherung nicht umgeht
- Unabhängige Instanzen müssen die Einhaltung der Vorgaben regelmäßig überprüfen
Leichte Lockerung der EuGH-Rechtsprechung
Insgesamt bleibt der EuGH, was die Vorratsdatenspeicherung angeht, sehr vorsichtig. Sie mag zwar im Bereich der Strafverfolgung grundsätzlich zulässig sein, ist gleichzeitig aber auch mit einer Menge Auflagen verbunden.
Inwieweit das Urteil Auswirkungen auf die in Deutschland geltenden Regelungen zu Vorratsdatenspeicherung und Quick-Freeze-Verfahren hat, bleibt abzuwarten. Eine Lockerung im deutschen Datenschutzrecht scheint jedenfalls möglich.
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