Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute seine Entscheidung zur deutschen Vorratsdatenspeicherung verkündet. Große Überraschungen waren schon im Voraus nicht erwartet worden. Bereits seit 2015 ruhten aufgrund von Unsicherheiten die Umsetzung der Pläne und erst 2020 kassierte der EuGH die zugrunde liegende EU-Richtlinie. In seiner jetzigen Form bleiben die Regelungen der deutschen Vorratsdatenspeicherung unzulässig und unvereinbar mit EU-Grundrechten. Doch der EuGH lässt dem Gesetzgeber Spielraum.
Das bemängelt der EuGH an deutscher Vorratsdatenspeicherung
Nach dem heutigen Urteil des EuGH ist die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht vereinbar mit EU-Recht. Die anlasslose Speicherung der Kommunikationsdaten von EU-Bürgern ist in dieser Form unzulässig. Es müssten stets enge Grenzen gesetzt werden, um entsprechende Daten erfassen und speichern zu dürfen. Und auch der Zugriff durch Strafverfolgungsbehörden müsse strenger reguliert sein, da jeder einzelne davon einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Person darstelle. Eine Reform des bereits 2015 in Kraft getretenen und seither ausgesetzten Gesetzes ist damit unerlässlich.
Diese Ausnahmen sah der EuGH bei der Vorratsdatenspeicherung auch in bereits vorangegangenen Urteilen als ggf. gerechtfertigte Instrumente in der Strafverfolgung an:
- anlasslose Speicherung der IP-Adresse, sofern dies dem Zwecke der Bekämpfung schwerer Kriminalität oder Bedrohung der nationalen Sicherheit dient
- anlasslose, aber räumlich begrenzte Erfassung weiterer Verbindungs- und Standortdaten mit entsprechender Zweckbindung (z. B. an Bahnhöfen oder Flughäfen)
„Quick Freeze“ als Alternative? Bundesjustizminister Buschmann (FDP) spricht sich zukünftig für eine abgespeckte Variante aus. Bei Hinweisen auf schwere Straftaten sollten Daten zu bestimmten Personen von Providern künftig auf richterlichen Beschluss hin „eingefroren“ und so vor der automatischen Löschung geschützt werden. Das Problem dabei: Auch hier ist zugrunde gelegt, dass die Provider zumindest vorab entsprechende Verbindungsdaten erheben und speichern. Bundesinnenministerin Faeser (SPD) kündigte bereits vor dem Urteil an, den vom EuGH zur Vorratsdatenspeicherung gewährten Spielraum voll ausreizen zu wollen. Es bleibt abzuwarten, ob eine Einigung in der Ampel-Koalition in den kommenden Wochen und Monaten möglich ist. Fest steht: In der Form, wie sie 2015 vorgesehen war, wird durch das EuGH-Urteil keine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zulässig sein.
Was sah die deutsche Vorratsdatenspeicherung in ihrer jetzigen Form vor?
Im Kern geht es bei den Plänen zur deutschen Vorratsdatenspeicherung um die Verbesserung der Strafverfolgung. Provider sollten dazu verpflichtet werden, u. a. Standort- und Mobilfunkdaten sowie IP-Adressen aller Nutzer verdachtsunabhängig für zehn Wochen zu speichern. Die Inhalte der Kommunikation selbst sollten unberührt bleiben. Im Falle einer schweren Straftat sollten die Strafverfolgungsbehörden so z. B. Informationen darüber erhalten können, wer zu welchem Zeitpunkt mit wem kommunizierte, wo sich diese Personen aufhielten usf. Das Gesetz trat bereits 2015 in Kraft, wird aber nach wie vor wegen der erheblichen Rechtsunsicherheiten nicht angewandt.
Bereits die EU-Richtlinie, die dem deutschen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zugrunde lag, wurde 2020 vom EuGH kassiert. Er formulierte dabei bereits einzelne Ausnahmen. Mehr zu dem damaligen Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung erfahren Sie im folgenden Video:
Im Kampf gegen schwere Verbrechen hat die EU immer wieder neue fragwürdige Ideen, die eine Gefährdung der Privatsphäre der Menschen mit sich bringen würden. Zuletzt wurden etwa Pläne für ein EU-Chatkotrolle-Gesetz bekannt, durch das zudem die Inhalte privater und eigentlich zu verschlüsselnder Chats etwa in Messengern gescannt und auf mögliche Hinweise auf schwere Straftaten geprüft werden. Auch hier verdachtsunabhängig bei allen EU-Bürgern – vornehmlich unter dem Deckmantel der Verfolgung von Kinderpornographie. Erst am vergangenen Freitag haben die Länder im Bundesrat erhebliche Zweifel an diesen Plänen geäußert. Wie weit darf die Politik in der Verbrechensbekämpfung gehen?
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